Hilfreiche Bücher für Betroffene

 

Die folgenden Bücher bezeichnen viele Hinterbliebene als sehr hilfreich. Wenn Sie Interesse an einem der Bücher haben, können Sie dieses in Ihrer Buchhandlung vor Ort erwerben.

Hinweis:
Alle Rezensionen sind von mir selbst verfasst worden.

 

Chris Paul:

„Warum hast du uns das angetan? Ein Begleitbuch für Trauernde nach einem Suizid.“

In meinen bisherigen Trauergruppen nahmen fast ausnahmslos alle Teilnehmer/innen dieses Buch als DAS Buch wahr. Hierin fanden sie sich wieder, sahen ihre eigene Situation umfassend, deutlich und offen beschrieben.

Die Autorin kennt aus eigener Betroffenheit die Situation als Trauernde nach Suizid. Sie macht einfühlsam deutlich, dass alle Empfindungen, die Trauernde in sich tragen, in Ordnung sind und so sein dürfen. Zugleich bietet sie immer wieder eine Klärung und Stärkung der eigenen Wahrnehmungen durch verschiedene Übungen an.

Ein zutiefst menschliches Buch, das für Trauernde oft auch noch lange nach dem Suizid hilfreich sein kann.

 

 

Thomas Bronisch:

„Der Suizid. Ursachen, Warnsignale, Prävention“

Ich empfehle Betroffenen dieses Buch. Es braucht nicht von vorne nach hinten durchgelesen zu werden. Vielmehr können die Kapitel einzeln je nach momentanem Bedürfnis bzw. Interesse gelesen werden.

Dieses Buch gibt einen Überblick über die Hintergründe von Suizid und Suizidversuch, und es informiert über Erscheinungsformen, Ursachen, Warnsignale, Prävention und Therapie. Es geht dabei darum Legenden zu korrigieren und ein sowohl wissenschaftlich haltbares, wie auch in der konkreten Krisenintervention hilfreiches Bild von Suizid und Suizidgefährdung zu vermitteln.

Vom Autor wird in knapper Sprache sowohl der medizinische als auch der gesellschaftliche und historische Hintergrund beleuchtet. Begriffsdefinitionen, Statistiken und Methodik der Erforschung der Ursachen von Suiziden werden ebenfalls erläutert.

Hochinformativ und klug
– jetzt erschienen in der 6., überarbeiteten Auflage, 144 S.

 

 

Samira Zingaro:

„ »Sorge dich nicht!« Vom Verlust eines Bruders oder einer Schwester durch Suizid “

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Der Suizid eines Bruders oder einer Schwester wiegt schwer wie ein großer Stein. Dieser legt sich ungewollt auf das Leben des hinterbliebenen Geschwisterteils. Eine Last, die bleibt – selbst nach Jahren. Auch wenn dieser Stein mit seinem Gewicht im Laufe der Zeit vielleicht kleiner wird. Möglicherweise symbolisieren die drei aufeinander getürmten Steine auf dem Bucheinband genau das. Der unterste Stein ist der größte, schwerste. Der Zweite ist etwas kleiner. Obenauf liegt der kleinste, nicht mehr ganz so schwere Stein. Jene mögliche Entwicklung einer kleiner werdenden Beschwernis bedarf viel Zeit, vieler gefühlter kleiner und großer Ewigkeiten.

Das Buch von Samira Zingaro „»Sorge dich nicht!« Vom Verlust eines Bruders oder einer Schwester durch Suizid“ vermittelt zunächst genau diese heftige Erkenntnis, dass eine Last für das trauernde Geschwisterteil dauerhaft bleibt – vielleicht unterschiedlich groß, unterschiedlich schwer, nie ganz auflösbar, nie vollständig wegwälzbar. Zugleich findet sich viel Ermutigendes und Mutiges in diesem facettenreichen Buch.

Das Herzstück und überdies der größte Teil des Buches besteht aus feinfühligen Portraits über Menschen, die ihren Bruder oder ihre Schwester in je unterschiedlichem Alter verloren haben. Die Lebendigkeit der Begegnungen mit der Autorin tritt sowohl in den Gesprächen als auch in den Fließtexten über die portraitierten Trauernden hervor.

Die Reaktionen der Betroffenen, die in diesem Buch ihre sehr persönlichen Lebensgeschichten um den Suizid erzählen, enthalten die ganze Bandbreite von Reaktionen auf einen Suizid, wie sie für die meisten Angehörigen und Freunde bereits vielfältig beschrieben sind – unabhängig davon, ob es sich um den Verlust eines Kindes, eines Elternteils oder um den Verlust eines sonstigen nahestehenden Menschen durch Suizid handelt. Dies gibt dem Buch einen allgemeingültigen Charakter.

Das Besondere – und in dieser Fülle das Neue – liegt darin, dass auf berührende, detailreiche Weise deutlich wird, wie es speziell Geschwistern geht, nachdem sich deren Schwester oder deren Bruder selbst getötet hat. Für jene Hinterbliebenen kann es beispielsweise überfordernd werden, wenn sie als die „übrige Tochter“ oder als der „übrige Sohn“ für die Eltern der letzte Hoffnungsschimmer im Leben sind. Ebenso können betroffene Geschwister erfahren, dass die Eltern sie nach dem Ereignis vernachlässigen. Im Buch werden die eigenen Schuldgefühle und mögliche Schuldvorwürfe gegen die Eltern angesprochen, vor allem dann, wenn die hinterbliebenen Geschwister selber unter den Eltern gelitten haben.

Mehrmals wird von den Betroffenen erwähnt, dass die Geschwisterbeziehung vor die Schwierigkeit gestellt wird, dass die verstorbene Person nicht älter wird, stehen bleibt, keine neuen Sichtweisen und Entwicklungen in die Geschwisterbeziehung mehr einbringen kann. Immerzu müssen die Trauernden (innere) Dialoge mit der verstorbenen Person führen, so dass diese überhaupt in die sich weiterentwickelnde Gegenwart mitgenommen werden kann. Dies ist ein Versuch der Beziehungspflege über den Tod hinaus, obwohl eine tiefe gemeinsame Entwicklung kaum mehr möglich ist.

Beziehungsschwierigkeiten in Freund- und Partnerschaften, die sich aus dem Suizid heraus ergeben, werden im Buch offen ausgesprochen, wie auch die Frage einer eigenen Suizidalität der trauernden Geschwister.

Die Autorin stellt den portraitierten Geschwistern sehr direkte und persönliche Fragen. Diese positive Schonungslosigkeit trägt zur Qualität des Buches wesentlich mit bei und ist ein wichtiger Baustein bei der Enttabuisierung des Themas Suizid. Die Notwendigkeit einer solch großen Offenheit und Direktheit ergibt sich aus dem Widerspruch, dass einerseits – gesamtgesellschaftlich gesehen – das Thema Suizid bereits ein (großes) Stück enttabuisiert wurde. Bricht andererseits die Realität eines Suizides jedoch konkret in die Familien und in ihr soziales Umfeld ein, haben die Trauernden zu kämpfen: Sie kämpfen seit Jahrzehnten mit dem (immer)gleichen Mix aus Verschweigen, Verurteilung, Abwendung und hilflosem Verhalten durch ihre Mitmenschen. Samira Zingaro, deren Schwester sich ebenfalls selbst tötete, schildert dies eindrücklich aus Sicht mehrerer betroffener Geschwister.

Nicht ganz passend zum beschriebenen Hauptteil des Buches erscheinen mir die zwei kurzen Interviews, die das Buch rahmen. Eröffnet wird das Buch mit einem rührigen Seelsorger, der als Pionier der Internet-Seelsorge gilt und Selbsthilfegruppen gegründet hat. Hier wäre eine Zusammenfassung seiner wichtigsten Aussagen und fachliche Ergänzungen durch die Autorin als Einleitung sicher fundierter und hilfreicher gewesen als der Abdruck des Interviews. Nachdenkenswert und positiv-provozierend ist in diesem Interview allerdings die Anregung, das Thema ‘Gott‘ auf dem steinigen Weg der Trauer erst einmal außen vor zu lassen. Dieser Ansatz hätte gerne noch weiter ausgeführt werden können und den Einschub ersetzen können, in dem die Autorin die sehr problematische und kritikwürdige Haltung der Kirche(n) in der Geschichte ausführt.

Das Interview mit einem Psychiater am Ende des Buches ist gut zu lesen. Hier wäre es ebenfalls erfreulicher und erbaulicher gewesen, wenn die Autorin ihren eigenen Fachkenntnissen und ihrer behutsamen und ansprechenden Art zu schreiben Platz gegeben hätte. Die Symptome einer möglichen Suizidgefährdung eines Menschen kommen in diesem Interview deutlich zu kurz. Das gilt zugleich für die Frage, wie der Suizid als mögliches Problemlöseverhalten innerhalb einer Familie aufgehoben werden kann – nicht nur bei Familien mit einer Suizidhäufung. Die hinterbliebenen Geschwister haben diesbezüglich mitunter große Ängste. Auch wenn in manchem Abschiedsbrief der Satz »Sorge dich nicht!« stehen mag, wird nach dem Suizidereignis daraus unmittelbar und unvermeidlich der Satz, der die eigene Realität der hinterbliebenen Geschwister beschreibt: „Ich bin voller Sorge!“. Die Fragen, die damit unter anderem verbunden sind, lauten: „Bin auch ich gefährdet? Kann es meine eigenen Kinder irgendwann einmal treffen?“

Das Buch nochmals zusammenfassend als Ganzes in den Blick genommen:

Geschwister können äußerst verschieden sein und sich dennoch sehr verbunden fühlen. Dies ist der Wesenszug einer Geschwisterbeziehung – und stellt die trauernden Geschwister vor schmerzhafte, langwierige Entwicklungen in allen Lebensbereichen. Das nun andere Leben, das nach dem Suizid zwangsläufig seinen Anfang nimmt, kann eine positive Vertiefung oder Veränderung nach sich ziehen. Der Weg dahin ist aber steinig und mühsam. Glücklicherweise gibt es für diejenigen, die es wollen und annehmen können, viele Unterstützungsmöglichkeiten von außen. Wichtige Anlaufstellen und Adressen vervollständigen das Buch.

Was sich in allen Lebensgeschichten der Betroffenen, die in dem Buch zu Wort kommen, wiederfindet, ist die feine, liebevolle und respektvolle Art, in der die Betroffenen von ihrem verstorbenen Bruder, ihrer verstorbenen Schwester berichten. Hier zeigt sich eine bedeutsame und sichtbare Entwicklung, die diese Trauernden durchgemacht haben – trotz der Wunden, trotz aller Unverständlichkeiten und der Schuldgefühle, mit denen sie durch den Tod zu kämpfen haben. Durch diese liebevolle und respektvolle Art über die Verstorbenen zu sprechen, wird das bei den Verstorbenen gewürdigt, was auch Erwin Ringel, der große Suizidologe, in einem Fernsehbeitrag von 1974 über Menschen äußert, die sich das Leben nehmen: „(…) denn gerade der besonders differenzierte Mensch ist doch besonders sensibel und damit besonders verwundbar.“

Ich freue mich, dass es dieses Buch für trauernde Geschwister gibt. Es kann zugleich für deren persönliches Umfeld eine wertvolle und hilfreiche Unterstützung im Umgang mit den Trauernden sein.


 

Ruthmarijke E.W. Smeding / Margarete Heitkönig-Wilp (Hrsg.):

„Trauer erschließen – eine Tafel der Gezeiten“

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 Ausführlich stellt Smeding ihr Modell der Trauer vor. Sie spricht von den Gezeiten der Trauer, die im Gegensatz zu den Gezeiten des Meeres unregelmäßig anfließen und in ihrer Heftigkeit schwanken. „Trauer erschließen“ ist kein Phasenmodell. Es stützt sich auf Lehr- und Lerntheorien und das umfassende Fachwissen der Herausgeberin. Die unterschiedlichen Gezeiten der Trauer finden sich in den von ihr geprägten Begriffen „Schleusenzeit“, „Janus- und Labyrinthzeit“ und der „Regenbogenzeit“ wieder.

Viele engagierte und erfahrene Personen sind an der Erstellung dieses Buches beteiligt. Sie alle schreiben interessante Beiträge aus den verschiedensten Tätigkeitsbereichen im Umfeld von Trauer und Abschiedsschmerz.

Das Buch ist somit sehr breit angelegt und kann von verschiedenen Seiten her belesen werden, je nachdem, welcher Beitrag den Leser, die Leserin anspricht. Die Beiträge von Smeding selbst sind allerdings hie und da etwas holzig geschrieben und vom Aufbau nicht immer ganz klar strukturiert. Dies tut jedoch dem Werk und seiner Aktualität keinen Abbruch. Nicht zu vergessen, dass das Buch vom Deutschen Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) empfohlen wird.