Lesetipps

Wenn Ihnen eines der aufgeführten Bücher gefällt, wäre es schön, Sie würden Ihre Buchhandlung vor Ort unterstützen und das Buch dort kaufen. Viele lokale Buchhandlungen nehmen telefonische oder online-Bestellungen an, um Ihnen dann die Ware flott nach Hause zu schicken.

Hinweis:
Alle Rezensionen sind von mir selbst verfasst worden.

Elfriede Suhr (2013):

Die Höhle. Schicksal einer Deserteursfamilie.

Ach, wie zauberhaft ist es doch am Fluss Neckar im südlichen Baden-Württemberg, wo sich Natur und schöne Städtchen abwechseln. Der Schwarzwald und die westliche Schwäbische Alb sind zum Greifen nah.

Gleichzeitig ist das Obere Neckartal auch ein Tal des Todes, das weltweit im wahrsten Sinne des Wortes seine Giftkugeln verschießt: Hier sitzt die weltbekannte Firma Heckler & Koch, ein weltweit führender Hersteller von Handfeuerwaffen. „Europas tödlichstes Unternehmen“ – wie Jürgen Grässlin feststellt, www.juergengraesslin.com. Ein Thema und ein dazugehöriger Ort, welches nicht viele Menschen interessiert, sondern lieber verdrängt wird.

Persönlich berührend wird es jedoch für den Leser / die Leserin, wenn auf Einzelschicksale in Kriegszeiten wie mit einer Lupe geschaut wird, auf Zustände, in denen Tod und Waffen alltäglich sind. Dies tut die Autorin Elfriede Suhr, die im Alter von 73 Jahren begann, diese wahre Geschichte aus Oberndorf am Neckar und ihre Kindheitserinnerungen daran aufzuschreiben.

Ihr Onkel ist ein Deserteur, verweigert den Kriegsdienst im Nazideutschland. Das wird mit dem Tod bestraft, damals und noch in vielen anderen Ländern heute. Gefährlich auch für die Angehörigen. Seine Familie versteckt diesen jungen deutschen Soldaten und Deserteur in einer Höhle an einem Steilhang in der Nähe von Oberndorf. Drei Jahre lang! Und versorgt ihn unter allergrößter Lebensgefahr mit allem Notwendigen. Gefahr droht dabei auch von den „Mitmenschen“, Nachbarn etc., die sich gerne der Nazi-Ideologie fügen und mehr als nur MitläuferInnen sind. Diese MitbürgerInnen werden somit eine tödliche Gefahr für das Leben dieser mutigen Familie, die dennoch an ihrem Engagement und ihren Überzeugungen festhält.

Die Sicht der Autorin ist die eines Mädchens auf Ihre Familie während des zweiten Weltkrieges – eine Familie, die fast nicht beschreibbare Situationen erleben musste. Erlebnisse, die unter einer Glocke von kriegerischer Propaganda und Rüstungsproduktion mit all ihren Folgen für das persönliche Leben stattfanden. Nicht weniger aktuell im 21. Jahrhundert.

Ein wichtiges, packendes, in seinem Wert für die Gegenwart nicht zu überbietendes Buch, das weit mehr als eine regionale Bedeutung hat. Es zeigt wie Solidarität, wie familiärer Zusammenhalt Unmögliches möglich macht. Eine wahre Geschichte, in einfacher Sprache, eindringlich und authentisch geschrieben.

Marcel Hildebrandt (2017):

Nur der Wille zählt. Vom Heimkind zum Erzieher.

Der Titel schlägt den Bogen, dem das autobiographische Buch folgt.
So nüchtern die Titelzeile klingen mag, so anschaulich ist das Buch geschrieben. Hinter diesen dürren Titelworten ist eine spannende Lebensgeschichte dokumentiert, eine Geschichte fehlender elterlicher Liebe, heftiger Erlebnisse im Heim und anderswo.

Das Lesen macht nachdenklich. Wo bin ich in meinem eigenen Leben falsch abgebogen? Was hat dazu geführt, dass ich wieder auf die „richtige Spur“ zurückkommen durfte? Was hat mich manches Mal vor einem falschen Abbiegen bewahrt, mich geschützt? Wie oft ist es in einem einzigen Leben möglich, den falschen Weg einzuschlagen, um wieder psychisch und physisch gesund auf einen guten Weg zurück zu kommen? Woher kommt Hoffnung, welche Menschen glauben (unerschütterlich) an mich?

Zwei persönliche (Über-)Lebensmittel benennt der Autor unmissverständlich: „mein unbändiger Wille und meine unermüdliche Leidenschaft für den Sport“. So entstand letztlich ein geglückter Lebensentwurf des Autors. Dieser zeigt sich in seiner Tätigkeit als ausgebildeter Erzieher benachteiligter junger Menschen, als Ehemann und Vater. Die Wendungen und Geschichten bis dahin sind in einer einfachen und bewegenden Sprache geschrieben.

Die vielen Fotos  machen das Lesen spürbarer und runden das Buch authentisch ab.

Hanya Yanagihara (2o19):

Ein wenig Leben

Ein Buch, das im Gedächtnis bleibt. Aufgrund des Umfangs habe ich diese Lektüre zuächst hinausgeschoben. Einmal angefangen, konnte ich das Buch nach wenig Dutzend Seiten kaum mehr aus der Hand legen.

Absolut lesbar, abstoßend, hoch attraktiv. Ein Beweis erster Güte, was Sprache mit dem Lesenden macht. Das Werk reizt die Räume aus, welche durch Literatur für das innere Auge und die Gefühle des Lesenden eröffnet werden können.

Das Buch erzählt die fiktive Geschichte von vier Freunden. Einer des Quartetts verletzt sich körperlich immer wieder selbst. Die Geschichte(n) hinter diesen grausamen Taten gegen die eigene Person kommen Seite für Seite immer näher. Es sollte nicht zu viel verraten werden, aber das Buch ist an Aktualität nicht zu überbieten. Das Buch bietet einen gewagten Blick von Innen auf Traumata, lässt die furchtbare seelische Schnitttiefe der Entstehungsbedingungen von Traumata erahnen.

Einerseits ein ungeschminkter Einblick in Taten, die Menschen Menschen, in vielfältiger Weise, weltweit, antun.

Für ruhige Stunden, die aber besser immer begrenzt sein sollten und für LeserInnen, die gut in der Selbstfürsorge sein sollten, wenn sie für eine Pause das Buch zuklappen.

Julia Seidl, Stefan Rosenboom (2018):

Anni und Alois. Arm sind wir nicht. Ein Bauernleben.

Deutlich über 6000 Besucher haben sich seit der Veröffentlichung dieses Buches schon auf den Weg zu diesem Einöd-Bauernhof gemacht.

Echtheit, Arbeit, Arbeit, Arbeit und Bescheidenheit, Einklang mit der Natur lösen wohl Neugierde und Sehnsucht nach diesem Lebensmodell aus. Nicht zu vergessen, dass das Buch auch auf intime Weise ein Beziehungsleben beschreibt, dass die goldene Hochzeitsphase überschritten hat und das durch eine einfache, eingespielte und ungeschnörkelte Kommunikation geprägt ist.

Es ist kein Museumsleben, das die beiden althergebracht leben, sondern eine tiefe Selbstverständlichkeit im Einklang mit dem, was im Moment präsent ist: dem Wetter, den Tieren, den Pflanzen, den körperlichen Beschwernissen. Das größte Ziel ist dabei die Selbstversorgung mit guten Lebensmitteln, die Freiheit vom kostspieligen Konsum. Beides erfordert viele Fähigkeiten, die dieses Buch in anziehender Weise beschreibt.

Das Buch begleitet die beiden ein Jahr lang in allen Jahreszeiten, nicht schönmalerisch, nicht idealisierend. So wie Anni und Alois mit beiden Beinen im Leben stehen – Anni am liebsten ganz barfuß. Schuhe mag sie überhaupt nicht. Nur ein Raum wird beheizt.

Begleitet wird die Autorin von einem Fotografen, der berührende Bilder beisteuert, die beim Lesen den Blick andächtig zur Ruhe kommen lassen.

Diese jahrzehntelange Zurückgezogenheit mit wenig Anbindung an das, was wir „moderne“ Menschen Leben nennen, verursacht keine Abwendung von anderen Menschen. Im Gegenteil: Anni lebt eine erstaunliche Offenheit und Gastfreundschaft, teilt ihr Wissen und ihre Lebensweisheit bereitwillig mit.

Spenden statt kaufen:
Claudia Croos-Müller (2017): Alles gut. Das …

Dies ist keine Kaufempfehlung, sondern leider das Gegenteil!

Das Buch (3. Auflage) ist schlampig gemacht. Das muss ich leider nach sehr genauem Hinsehen so ausdrücken.

Beispiele hierfür gefällig?

Wohlweislich wird keine Zielgruppe bzw. Altersgruppe erwähnt, für die dieses Buch bestimmt sein soll – weder im Einband, noch im Inhaltsverzeichnis, noch in der Einführung ab S. 3. Es wird jedoch durch die Aufmachung der Eindruck erweckt, dass es für Kinder sein könnte: mit süß gezeichneten Schafen, bunter Gestaltung, der Du-Ansprache des Lesers / der Leserin.

Nirgendwo findet sich der eigentlich bitternötige Hinweis, dass Erwachsene das Buch zusammen mit den Kindern lesen sollten – schon aufgrund der komplexen Sprache und der Fremdwörter wie auf S. 8 (s.u.).

Es gibt Begriffe, die nicht unmittelbar erklärt bzw. übersetzt werden, z.B. „Body2Brain-ccm-Methode“ (S. 4), EMDR – Eye Movement Desensitization and Reprocessing auf S. 5 (wird nicht direkt übersetzt und entsprechend erläutert) oder der Begriff des Traumas, obwohl dieser auf dem Einband auftaucht.

Gleiches gilt für die Begriffe „self-efficacy“, den „Carpenter- und Kohnstamm-Effekt“ auf S. 10 + 39, „psychomentale Reaktionen“ und „Dissoziation“ auf S. 14. Ebenso ist die Erläuterung in nur neun Wörtern zum sog. „Inneren Kind“ nicht hinreichend (S. 15).

Was ist der der „EMDR-Effekt“ auf S. 23? Woher soll das Kind ohne Erklärung wissen, was Endorphine und was antidepressive Hormone (S. 25) sind – oder der „Tranquilizer-Effekt“ auf S. 29 und „Emotionsareale“ auf S. 41?

Anhand der hier zitierten Begriffe, die sozusagen im Nebulösen verbleiben, kann der Leser bzw. die Leserin dieser Rezension bereits ein Gefühl dafür bekommen, ob es wirklich ein Buch für Kinder sein kann.

Bereits auf S. 6 (!) erfolgt der Hinweis in unverhüllter, verkaufsfördernder Absicht: „Und als Geschenk für Deine Freunde ist dieses Buch vielleicht auch eine große Lebenshilfe – gleich oder irgendwann.“

Sollte das Buch tatsächlich Kinder als Zielgruppe haben, könnte es Mitmenschen / Eltern geben, die diesen sehr frühen Hinweis als unverschämt und rein an finanziellen Interessen orientiert bezeichnen. Dieser Eindruck könnte ihnen nicht verübelt werden…

Auf S. 8 befindet sich eine Abbildung: Hier wird es auf dieser und der folgenden Seite nun ganz verworren. Zwei von sechs Begriffen, die in der Grafik auftauchen, werden im dazugehörigen Text nicht mehr aufgegriffen und erläutert (Thalamus und Hippocampus). Im Text taucht jedoch der Begriff „Zwischenhirn“ auf. Hier frägt sich das Kind sicherlich, wo sich das Zwischenhirn denn auf der Abbildung wiederfinden lässt. Leider nirgends.

Ich bekomme den Eindruck nicht richtig los, dass das Buch vor allem der Kapitalvermehrung dient – ohne wirklich an der Zielgruppe (an welcher denn, s.o.?) und an gründlichem und sauberem Arbeiten interessiert zu sein.

So täuscht das möglichst süß und rührend illustrierte äußere Erscheinungsbild des Buches: Die marketingmäßige gute Aufmachung und die Qualität des Inhaltes klaffen erschreckend weit auseinander.

Ich bin wohlgesonnen an die Lektüre dieses Büchleins herangegangen und es fällt mir absolut nicht leicht, mehr wie kritisch über dieses Buch zu berichten.

Dennoch sei abschließend vermerkt: Das Buch erweckt den Anschein, dass es vor allem dem Eigeninteresse der Autorin und dem Eigenmarketing dient.

Ich denke, dass diese Erkenntnis durch meine Ausführungen gut begründet ist. Die Lektüre des Buches macht als Erwachsener fassungslos, während es Kinder verständnislos zurücklassen kann.

Daher die Empfehlung: Das Geld, das Sie vielleicht für den Kauf dieses Buch bereitgehalten haben, ist als Spende für Organisationen, die Kinder in schwierigen Lagen unterstützen, sicherlich besser aufgehoben.

Franziska Offermann (2016):

Wenn Kollegen trauern. wahrnehmen.verstehen. helfen.

Das Buch ist gefüllt mit vielen Anregungen und Inhalten für die Praxis.

Vor allem das Eingangskapitel über Trauer ist konzentriert, orientierend und vermittelt Basiswissen, zum Beispiel über die verschiedenen Trauermodelle.

Das Lesen des Buches ist mühsam, denn die Autorin bleibt nicht „in der Spur“. Das heißt, es findet unvermittelt immer wieder ein unmarkierter, abrupter Wechsel vom Blick auf Hauptbetroffene eines Todesfalls hin auf das betroffenen (Arbeits-)Umfeld statt. Hier wäre eine besser organisierte Aufbereitung für die interessierte Leserschaft ein Gewinn und würde zu mehr Übersichtlichkeit führen.

Abgesehen von dieser gewissen Unstrukturiertheit des Buches finden sich viele gute und konkrete Hinweise. Als Beispiel seien die Hinweise für ein Kondolenzschreiben genannt. Bedeutsame Hinweise finden sich auch für die Akutsituation – wenngleich über das Buch verstreut.

Mit der Anleitung zu einer Stabilisierungsübung findet sich die Autorin auf der Höhe der Zeit (leider im Anhang versteckt).

Kurzum: ein wirklich reichhaltiges Buch, bei dem jedoch die Orientierungs- und Verknüpfungsarbeit vieler ganz wertvoller Aspekte innerhalb des Buches beim Leser / bei der Leserin hängen bleibt. Selbst für Fachleute keine ganz einfache Anstrengung.

Antje Sabine Naegeli (2014):

Schneckenhauszeit. Schutzraum für die Seele

Ermutigend, in einfühlsamen und treffenden Worten – ist dieses Büchle ein Seelenbegleiter für Menschen in schweren Zeiten.

Sicher auch ein passendes Geschenk für Menschen in Krisen, wenn die (eigenen) Worte fehlen. Zugleich eine hilfreiche Beschreibung, wie es betroffenen Menschen geht, was sie brauchen und welcher Schutz, welche Behutsamkeit notwendig ist, um wieder Mut fassen zu können.

Jörg Zink (2015):

Trauer hat heilende Kraft

Das Buch geht in den Dialog mit der Person, die es aufschlägt. Ganz direkt, im dennoch behutsam gehaltenen „Du“-Stil.

Durch die Texte, schön bebildert, dürften sich alle Trauernde angesprochen fühlen, egal welche persönliche Trauerstraße sie bisher gegangen sind.

Der Autor gibt die Zusicherung, dass Trauer sein darf, egal wie lange. Selbst nach Abkehr der Umfeldes, das schon längst wieder auf der „Alltagsspur“ unterwegs ist – und dasselbe Verhalten von der trauernden Person erwartet.

Jörg Zink weiß und spricht es aus, dass die trauernde Person zwar auf ihrem eigenen Lebensweg steht und dennoch immer wieder auf diejenige Spur blickt, die zum Hinüber, zur verstorbenen Person hin führt. Dort denken die Trauernden sich immer wieder hin, dorthin würden sie vielleicht immer wieder nachsterben wollen.

Und wie umgehen mit möglichen Botschaften? Sei nicht verunsichert und nehme es an, wenn Zeichen des Verstorbenen „von drüben“ kommen, empfiehlt er in einem Text.

Zugleich sieht Jörg Zink die Trauer als eine innere Bindung an unendlich viele Menschen an, die ebenfalls trauern. Und es wird versichert, dass in der Trauer eine größere Innigkeit zu den Verstorbenen nachreifen kann, trotz möglicher Versäumnisse, die im Blick zurück manches Mal schwer lasten mögen.

Das kleine Büchlein ist ein Mosaiksteinchen in dem langgestreckten Weg, den viele Trauernde gehen. Ein Steinchen, dass Teil des Bodens ist, auf dem sich Hoffnung und möglicherweise sogar Heilung finden lassen. Wichtig: Habe Geduld mit Dir selbst, selbst wenn Andere mit Dir nicht immer Geduld und Nachsicht haben.

Nando Belardi (2013):

Supervision. Grundlagen, Techniken, Perspektiven.
(Taschenbuch)

Nando-Belardi-Supervision-Grundlagen-Techniken

Viele, die in den Arbeitsfeldern der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) mitarbeiten möchten, wissen mit dem Begriff ‘Supervision‘ erst einmal nichts oder wenig anzufangen. Das kann zunächst verunsichern, da die regelmäßige Supervision ein Qualitätskriterium der PSNV-Arbeit darstellt. Erfahrene Einsatzkräfte und MitarbeiterInnen aus verschiedenen, vor allem aus sozialen Tätigkeitsbereichen kennen Supervision hingegen oft nur vom direkten Erleben und „Konsumieren“ als TeilnehmerInnen. Die Vielfalt, die Zusammenhänge und die Möglichkeiten der Supervision sind jedoch weniger bekannt.

Das Buch gibt einen sehr kompakten, differenzierten und meist sehr verständlichen Einblick in das Verfahren Supervision. Kurz: Die Supervision ist ein Instrument für die psychosoziale Unterstützung, Begleitung und Reflexion von Arbeitsprozessen. Dabei hat sie das Ziel, die Beziehungen der Menschen untereinander in und bei ihren Tätigkeiten positiv weiterzuentwickeln.

TeilnehmerInnen von Supervision, die sog. SupervisandInnen, erhalten einen tieferen Einblick, „wie ihnen geschieht“ und macht sie zu mündigen, möglicherweise zu (selbst )kritischen Beteiligten einer Supervision.

Konkret: Das Buch beleuchtet historische Bezüge und vermittelt Grundlagen der Supervision. Und dies auf recht wenigen Seiten. Aus meiner Sicht hat das Buch gute Chancen, den LeserInnen die Supervision „schmackhaft“ zu machen – zumal sich Supervision sehr auf die Lösung eines behandelten Themas und auf die Erweiterung von Kompetenzen, z.B. fachlicher Art, ausrichtet.

Andreas Müller-Cyran und Peter Zehentner (2013):

„Wenn der Tod plötzlich kommt. Vom Umgang mit Schicksalsschlägen
– Das Kriseninterventionsteam im Einsatz“ (ggf. derzeit vergriffen)

Müller-Cyran-Zehentner-Wenn der Tod

Blick frei auf eine Arbeit, die meist im Verborgenen, im ganz privaten Raum stattfindet: Menschen begleiten Menschen, in deren Leben ein Unglück eingebrochen ist. Dieses Unglück hat fast immer mit den Formen des plötzlichen Todes zu tun: beispielsweise mit Suizid, Verkehrsunfall, Plötzlicher Kindstod, Überbringung einer Todesnachricht. Ausgebildete Fachkräfte der Krisenintervention stehen den Betroffenen bei – in den ersten Stunden nach dieser persönlichen Katastrophe. Diese Fachkräfte bleiben für einige Zeit vor Ort, wenn die Einsatzkräfte des Rettungsdienstes, der Feuerwehr, der Polizei schon längst wieder weggeeilt sind. Sie bleiben zusammen mit den Betroffenen zurück in der Stille des Unfassbaren, stehen ihnen bei.

Müller-Cyran und Zehentner erzählen äußerst spannend und mit einer berührenden Sprache von Einsätzen ihres Münchener Teams. Von Einsätzen, die typisch sind für die Krisenintervention bundesweit. Zugleich gibt es keine Standardeinsätze. Das machen die individuellen Fallgeschichten deutlich.

Auf was es in der Krisenintervention ankommt, wird für fachfremde Leser und Leserinnen verständlich und interessant rübergebracht. Die Frau vom Fach, der Mann vom Fach bekommt hingegen auf lebendige Weise die Lehrinhalte und Vorgehensweisen der Krisenintervention detailliert „am Fall“ dargestellt.

Das Buch zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Autoren immer wieder betonen, welche Priorität es im Einsatz hat, mit einer „Anti-Action-Haltung“ vor Ort zu sein. Es geht darum, sich ganz zurücknehmen zu können, sich ausführlich der eigenen Wahrnehmung zu widmen: der Wahrnehmung der Situation, der Betroffenen und deren Bedürfnissen sowie dem eigenen Empfinden als Kriseninterventionsmitarbeiter – nicht nur am Anfang eines Einsatzes. Die Ausgangshaltung für die Einsätze drückt sich folgerichtig in dem Satz aus „Wir sind erst mal nur da.“ Es geht zunächst um das solidarische Mit-Aushalten der Ohnmacht der Betroffenen.
Ziel dieser Krisenintervention ist es, handlungsfähige und entscheidungsfähige Betroffene zurückzulassen, wenn der Einsatz beendet ist. Dazu gehört unter anderem, dass Betroffene sich möglichst von der verstorbenen Person verabschiedet haben und weitere Unterstützung durch das soziale Umfeld bekommen.

All diese wichtige Aspekte der Krisenintervention sind in fesselnde Einsatzgeschichten verpackt. Dem Leser, der Leserin wird dabei deutlich, dass der plötzliche Tod überall lauern kann, niemand davor geschützt ist. Zehentner und Müller-Cyran schildern diese verdrängte Tatsache bei einem Einsatz mit einem Verkehrstoten zum Beispiel auf folgende Weise in einer Situation, in der andere Verkehrsteilnehmer langsam vorbeifahren,: „Dieser Mensch da, der auf dem Asphalt liegt, ist wie ein Stellvertreter für jeden von uns. Ihn hat es heute erwischt. Morgen oder in der nächsten Stunde könnte es mich treffen.“

Beim Lesen fällt auf, dass die Kriseninterventionsmitarbeiter primär alleine in den Einsatz gehen. Jedoch hat es sich mittlerweile bei einer zunehmenden Anzahl von Organisationen als Standard und Anspruch etabliert, dass Mitarbeiter von vornherein zu zweit in den Einsatz gehen. Dies ist zum einen vielen Einsatzsituationen vor Ort geschuldet, zum anderen kommt hierdurch die Fürsorge für die Mitarbeiter selbst zum Ausdruck. Für diejenigen Organisationen, die sich um diese Standards bemühen, leistet das Buch leider keine positive Unterstützung.

Ansonsten fachlich einwandfrei, verwundert an einer Stelle die Deutung eines U- oder S-Bahn-Suizides als finale Befriedigung, als eine letzte Aufwertung der eigenen Person des Suizidanten, weil er damit ein Stück den Verkehr und das Leben vieler anderer ins Stocken bringt. Diese gewagte Interpretation lenkt den Blick weg von der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit des Suizidenten – mag der Schaden dieses Suizides für Reisende und andere Betroffene auch sehr groß und ärgerlich sein.

Dennoch ist es ein fachlich sehr gutes und vor allem mitreißendes Buch. Ist ein Fall zu Ende gelesen, kann man es kaum erwarten in den nächsten einzutauchen.

Robert Schneider (2002):

„Schatten“

Robert-Schneider-Schatten

Ein Buch, das nicht nur auf Zustimmung trifft. Sind es die berührenden, manchmal aufwühlenden oder provokant erscheinenden Ausführungen über die Liebe und quälende Sehnsucht, die zur Abwehr mancher Leserin, manches Lesers führen?

Robert Schneider spricht Herz und Seele an, erzählt weit unterhalb von Oberflächlichkeiten von Loslassen, verpassten Gelegenheit, leidenschaftlichem Schmerz, Unerfülltheiten des Lebens.

Das Buch spannt einen weiten Bogen. Es gibt einen gar schonungslosen Einblick in das Leben zweier Freundinnen, die sich nach fast 30 Jahren wieder begegnen und miteinander in den Austausch gehen. Ein Auszug:

„>Ja, merkst du denn nicht, dass er dich nicht liebt?<, sagten die Freunde. Sie sagten es aus Wohlwollen, aus Angst um meine Person. Sagten es beinahe zornig und schließlich resigniert. Die gut gemeinten Ratschläge waren umsonst. Und was hätte das schließlich an meiner Liebe geändert? Nichts. Der Liebe ist es egal, ob sie wiedergeliebt wird. Das bekümmert sie nicht. Sie geht auf wie die Sonne. Sie ist wie das Herz, das schlägt oder nicht mehr schlägt.

(…) Heute weiß ich, dass der, den wir lieben, die tiefste und älteste Erinnerung an uns selber wachruft. Die Erinnerung an das älteste Wohlbehagen, als wir an der Brust der Amme einschliefen, an den ältesten Schmerz, als wir weggelegt wurden, vergessen oder verraten und nächtelang durchschrien. Der geliebte Mensch hat nur insofern etwas mit uns zu tun, als er uns Surrogat und Ersatz für die ältesten Freuden und Schmerzen ist, die wir je gekostet haben. Wir meinen nicht wirklich ihn. Wir meinen die Erinnerung an uns.“

Auf die Schatten eines Menschen zu sehen, auf seine Wunde, wenn das alles wegfällt, wie er scheinen möchte – darüber sprechen die beiden Frauen im fernen Australien. Und sind dem Leser auf einmal doch ganz nah.

 

Matt Ruff (2017):

„Ich und die anderen.“

Matt Ruff Ich und die anderen

Kein Wunder, dass das Buch bereits in der „x-ten“ Auflage erscheint. Dennoch erreicht auch diese „x-te“ Auflage nicht die Anzahl der Personen bzw. die Anzahl der Ich-Anteile, die sich innerhalb der Hauptperson des Romans, Andy Gage, befinden. Bekannt ist diese Innenwelt von Andy Cage heutzutage unter dem Begriff der Dissoziative Identitätsstörung (DIS), früher Multiple Persönlichkeitsstörung genannt. Es ist eine schwere psychische Erkrankung, ausgelöst durch massive und lange Jahre andauernde Gewalt.

Zum Roman selbst:
Andy Cage hat es trotz der vielen „Sichtweisen“ in seinem Inneren geschafft, mit seinen inneren Seelen alltagstauglich zusammenzuleben. Dennoch drängen in ihm immer wieder unterschiedliche Persönlichkeiten nach vorne, um Kontrolle über den Körper zu übernehmen. Dabei ist Vieles in humorvoller Weise beschrieben. So weit so gut.

 Aber dann treten eine Vielzahl von Veränderungen in seinem Leben auf, bis hin zu der Begegnung mit Penny Driver, die in ihrem Kopfleben ebenfalls nicht alleine ist. Jetzt gerät Andy’s bisherige Struktur zunehmend durcheinander.

 Irgendwann ist eine behutsame Verwirrung des Lesers, der Leserin perfekt. Fragen entstehen: Kann den Situationen im Buch, die in eindrucksvoller, mitreißender Sprache beschrieben werden, getraut werden? Kann ich als Leser, als Leserin meinen Leseeindrücken trauen?

Überraschend, wie plastisch der Autor einzelne Situationen beschreiben kann. Wie Matt Ruff das, was er beschreibt, dem Leser, der Leserin unter die Haut gehen lässt, wenn er von Erlebnissen erzählt, die den Hauptakteuren „in den Kopf gehen“, bei ihnen neue Persönlichkeitsanteile entstehen lassen. An der Grenze des Aushaltbaren, wenn auslösende, traumatisierende Bedingungen in der Geschichte der Hauptpersonen beschrieben werden.

 Das Buch ist anstößig, regt es doch zum Nachdenken an über die eigenen, möglicherweise sehr unterschiedlichen Rollen, mit denen wir uns durch unseren Alltag „spielen“. Beachten wir genügend die eigenen inneren Stimmen, auch wenn sie vielleicht unangenehm erscheinen möchten? Welche Anteile in uns schieben wir lieber schnell weg? Wo und wann blitzen ganz andere Seiten von uns auf?

Dazu passt der Spruch: „Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu.“ (Edmund Josef von Horváth).

Håkan Nesser:

„Die Einsamen. Ein Fall für Inspektor Barbarotti.“
(Taschenbuch, auch als Audio-CD mit Dietmar Bär)

Hakan-Nesser-Die-Einsamen-Neues-Cover

„Eine unbeschwerte Sommerreise in den siebziger Jahren. So fängt alles an. Drei Paare aus Uppsala, miteinander befreundet und jung, planen eine Busreise von Schweden durch die Ostblockländer bis ans Schwarze Meer. Aber was so lustig beginnt, endet im Desaster.

Die Wege der Sechs trennen sich nach diesem Urlaub – und kreuzen sich ein Menschenalter später erneut, als ein Dozent aus Lunda in den Wäldern vor Kymlinge am Fuße eines Steilhangs tot aufgefunden wird. Genau an derselben Stelle, an der eine junge Studentin aus Uppsala vor fünfunddreißig Jahren unter mysteriösen Umständen ums Leben kam.“

Sicher einer der spannendsten Bücher von Håkan Nesser. „Jedes Wort sitzt an seinem Platz, die Geschichte wird mit einer Tiefe erzählt, mit einer Sensibilität und Empathie, die nur wenige Krimiautoren erreichen.“ – so schreibt ein Leser.

Das Buch bewegt sich auf zwei Zeitebenen: im Heute und Anfang der 70-er-Jahre.

Inspektor Barbarotti dringt immer weiter in ein Beziehungsgeflecht von sechs Personen ein – mit all den Geheimnissen, tödlichen Wendungen und gescheiterten Lebensentwürfen. Abgründe tun sich auf, wenn traumatisierende Vorfälle einen Lebensweg kreuzen.

Die Leserin / der Leser wird auf einen Tauchgang in das menschliche Innere mitgenommen, wie er spannender nicht sein kann. Nach dem Auftauchen fällt die Orientierung nicht gleich wieder leicht – so intensiv rüttelt das Buch am Lesenden.

Constanze McKinney:

„Willkommen auf der roten Couch. Von Einer, die Platz nahm, das Fürchten zu verlernen.“
(Leider nur noch schwer zu bekommen. Bei Interesse schreiben Sie mich an – siehe unter Kontakt)

Willkommen auf der roten Couch. Von Einer, die Platz nahm, das Fürchten zu verlernen.

Von Einer, die es wagte in eine psychosomatische Klinik zu gehen – und gewann.

Es ist ein großes und kurzes Vergnügen, das Buch zu lesen – schließlich ist es nur 130 Seiten lang und klein. Der wunderschöne Einband umfasst ein Werk, das voll ist mit einer lebendigen und eindringlichen Sprache.

Mit einem Wortwitz und Formulierungen, die Bilder im Kopf des Lesers hüpfen lassen, erzählt die Autorin davon, wie sie sich in einer psychosomatischen Klinik immer tiefer in kleinen Schritten in sich selbst hineinwagte.

Nie macht sie das Beobachtbare (Mitpatienten, Personal, etc.) lächerlich, auch ihre eigenen Probleme nicht. Sie erzählt vom Hineinwachsen in heilsame Prozesse, die den wertschätzenden Umgang mit der eigenen Person beinhalten.

Das ist spannend und anregend. Ein mutiger Weg nach Innen, zugleich ein großer Schritt, auch andere an dieser Erfahrung teilhaben zu lassen.

„Die längste Reise ist die Reise nach Innen“ (Dag Hammarskjöld) – aber selten so kurzweilig, wie in diesem Buch. Ein tolles Geschenk an sich selbst oder andere!

Claude Anshin Thomas (Neuauflage):

„Krieg beenden, Frieden leben. Ein Soldat überwindet Hass und Gewalt.“

Claude AnShin Thomas - Frieden

Ein Buch von einem Menschen zu lesen, der hunderte andere Menschen getötet hat, mag zunächst Widerstände wecken. Zumal dieser Mensch dafür – wie viele andere Soldaten auch – vielfach ausgezeichnet wurde.

Zu lesen, wie dieses Töten den „Töter“ selbst zu zerstören beginnt, lässt aufhorchen.

Claude AnShin Thomas berichtet schonungslos offen über seinen Weg, seine eigene Traumatisierung und die Auswirkungen auf sein Leben.

Die Beschreibung wie weit und wie schmerzhaft der Weg von einer Tötungsmaschine hin zu einem Wandermönch ist, macht das Buch zu einer inspirierenden, fesselnden Quelle, die aufzeigt, wie Hass und Gewalt überwunden werden können.

Auch für Menschen, die sich für das Thema Traumatisierung interessieren, wird es anschaulich, wie tief ein Trauma wurzeln kann und welche friedlosen Formen es über Generationen hinweg annehmen kann – jenseits von den vorherrschenden Diagnosekriterien eines Traumas.

Claude AnShin Thomas macht durch sein neues Leben deutlich, dass es Versöhnung nicht billig auf Rezept gibt. Vielmehr ist es ein langer Weg, auf dem zuerst die Verantwortung für sich selbst steht. Die Schuld ist nicht bei den anderen zu suchen. Es geht um die eigene Beteiligung: das Tolerieren von Krieg, Unterdrückung, Rassismus, Machtmissbrauch und Waffenherstellung.

Einfach so ist Frieden nicht zu haben. Der Autor glaubt jedoch an die Veränderungsfähigkeit des Menschen – und ist selbst ein ergreifendes Beispiel dafür.

Ein sehr ansprechendes, zeitlos modernes Buch, das hautnah schildert, wie mit Verwundungen und Verletzlichkeit umgegangen werden kann. Es wundert daher nicht, dass das Buch aufgrund der großen Nachfrage immer wieder neu aufgelegt wird.